Transkript zu „Gemeinsam lernen, gemeinsam tanzen – kooperatives Lernen im Sportunterricht mit KI“
Hier finden Sie das Transkript zum Interview mit Studienrat Philipp Wetzel von der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Für die bessere Lesbarkeit wurden leichte sprachliche Glättungen vorgenommen.
Tamara Schilling: Heute sprechen wir im Rahmen von schule-mal-digital.de über KI-Modelle zur Sprachverarbeitung und darüber, wie diese in kooperative Lernprozesse im Sportunterricht integriert werden können. Ich bin Tamara Schilling und als Gast ist heute Studienrat Philipp Wetzel hier. Schön, dass Sie da sind.
Philipp Wetzel: Hallo, herzlich willkommen und vielen Dank!
Tamara Schilling: Herr Wetzel, Sie sind abgeordneter Lehrer für die Fächer Sport, Geografie und Informatik und als solcher sind Sie für die Forschung im Verbundprojekt KuMuS-ProNeD hier an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg freigestellt. Sie arbeiten aktuell zum kooperativen Lernen mit digitalen Tools und Ihr Fokus liegt dabei auf der Integration von Large Language Models, also ChatGPT, in Lernprozesse in der Gruppe im Sportunterricht. Bevor wir jetzt konkret auf Ihre Forschung zu sprechen kommen, habe ich zunächst eine grundlegende Frage an Sie: Wie unterscheidet sich kooperatives Lernen vom individuellen Lernen und was sind da die Besonderheiten im Sportunterricht?
Philipp Wetzel: Das kooperative Lernen ist erst mal gekennzeichnet durch eine Zielstruktur, das heißt, ich organisiere den Lernprozess und überlege mir: Wie soll das Ziel erreicht werden – allein, miteinander oder gegeneinander? Das ist die grundlegende Idee dabei und daraus hat sich ein ganzer Methoden-Mix ergeben, mit dem man diese Zielstrukturen versucht zu erreichen. Das kooperative Lernen kennzeichnet sich durch fünf Merkmale. Neben den Grundvoraussetzungen wie einem Face-to-Face – einem Gegenübersein im Raum – ist das Besondere im Gegensatz zum Gruppenlernen, dass man positive Abhängigkeit hat, positive Interdependenz, individuelle Verantwortung und Freiraum für Entscheidungen.
Tamara Schilling: Vor diesem Hintergrund möchten wir uns nun ein wenig Ihrer Forschung in diesem Bereich widmen. In Ihrem Projekt untersuchen Sie, wie ChatGPT als eigenständiges Teammitglied in solche kooperativen Lernprozesse im Sportunterricht integriert werden kann. Woher stammt diese Idee, ChatGPT auf diese Weise einzusetzen?
Philipp Wetzel: Das war ein Prozess. Zunächst einmal hat Anne-Christin Roth mir den Freiraum geboten, wirklich offen zu schauen, was denn eine digitale Innovation sein könnte, die adaptives Lernen fördert im Handlungsbezug. Und dann kam es zeitlich einfach zusammen mit der Veröffentlichung des Sprachmodusses von ChatGPT, bei der mir klar wurde: Jetzt ist die Technik so weit, ich kann die nicht nur über Texteingabe mit Tastatur am Schreibtisch, sondern ich kann das auch in der Sporthalle direkt über die Sprachein- und -ausgabe nutzen. Und es kommt noch mal ein Stück näher ran an das direkte Interagieren. Damit war ich dann neugierig, wie das wohl aussehen könnte mit so einer Künstlichen Intelligenz (KI) als Teammitglied Lernprozesse zu strukturieren und zu inszenieren.
Tamara Schilling: Können Sie hier ein bisschen genauer beschreiben was Sie dann jetzt unternommen haben, um diese Idee umsetzen zu können.
Philipp Wetzel: Zunächst war wichtig, einen Prototyp zu erstellen und das war dann mit der Funktion MyGPTs. So ein vorkonfiguriertes GPT sieht so aus, dass man Textdateien, Materialien für den Unterricht, Lernplakate, Stundenabläufe oder Bewertungsschemata hochlädt und der KI sozusagen zur Verfügung stellt, so wie eine Konfigurationsdatei schreibt, in der man hineinschreibt, wie sich der Sprachassistent verhalten soll. Damit hat man jetzt Steuerungsmöglichkeiten, den Unterricht selbst zu gestalten und das habe ich dann ausprobiert. Als erstes brauchten wir noch eine Sportart und da das Kooperative schon von Anfang an mitgedacht worden ist, war das für mich sinnbildlich dann auch den Tanz zu verwenden. Zunächst ist glaube ich noch wichtig, dass wir im Zuge dessen erst mal weiterentwickelt haben. Allein GPT zur Verfügung zu stellen hat nicht gereicht, sondern wir haben auch die Inhalte auf einer Homepage zugänglich gemacht und dann diese Homepage mit dem GPT verlinkt, sodass die KI auch sagen kann, wenn du ein Video sehen möchtest, kannst du auf der Homepage nachschauen. Und dann kann man aus dem Chat direkt den Link anklicken. Also, das heißt, die KI als Metamedium einzusetzen, das hat sich so entwickelt, was einem hilft durch die Lernmaterialien zu navigieren, die individuell adaptiv aufbereitet mir den Zugang ermöglichen oder den Lernenden. Das war ein Entwicklungsprozess, der vier bis fünf Iterationen hatte, bei dem wir dann mit vier bis fünf verschiedenen Studierendengruppen auch verschiedene Sportarten und Unterrichtssettings ausprobiert haben und auch kooperative Lernspiele. Und letztendlich sind wir dann aber für den Schulversuch beim Tanzen geblieben, haben es dann ein bisschen angepasst an das Curriculum hier und dann mit Jumpstyle Unterrichtsmaterialien ein Jumpstyle-GPT erstellt, mit dem wir an die Schule gegangen sind.
Tamara Schilling: Sie bringen ja mit Ihrem Hintergrund verschiedene Perspektiven mit für diesen Entwicklungsprozess. Erklären Sie uns doch einmal, welche das sind und wie diese geholfen haben ChatGPT als Metamedium in kooperative Lernprozesse im Sportunterricht einzusetzen.
Philipp Wetzel: Einerseits habe ich die Lehrerperspektive. Ich habe Geografie, Sport und Informatik studiert und schaue auch mit den Inhalten dieser drei Fächer auf die Möglichkeit, KI einzusetzen im Unterricht. Und die zweite Rolle ist für mich auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen von KuMuS-ProNeD eine Fortbildung zu entwickeln für Lehrkräfte oder Ausbilder/innen. Und die dritte Rolle ist jetzt meine persönliche als Forschender einen Zugang zu finden, die kooperativen Lernprozesse in den Kleingruppen zu analysieren und da auch eine Methodenkompetenz zu entwickeln. Also, zunächst glaube ich, war bei mir auch im Sportunterricht als Sportlehrer immer schon kooperatives Lernen ein attraktives Format, Unterricht zu gestalten. Und auch kooperative Lernziele, wo man sozusagen gegen die Zeit alle gemeinsam versucht ein Ziel zu erreichen, habe ich als besonders gewinnbringend für Klassenzusammenhalt, für die Lernatmosphäre empfunden. Sicherlich kommen da auch meine Erfahrungen mit dem Tanz hinzu, selber habe ich gerne getanzt und im Studium im Tanzen-Schwerpunktfach begeisternde Inhalte erlernt, die ich gerne vermittle. Das passt auch gut zusammen und das war sicherlich grundlegend aus dieser Lehrerperspektive. Als Informatiklehrer habe ich mich schon immer für Digitalisierungsprozesse interessiert und das hat mich angetrieben, diese Neugierde. Und jetzt bei KI, mit diesen neuen Algorithmen, die nicht mehr so linear sind, sondern die auf neuronalen Netzen basieren und dann eher über Wahrscheinlichkeiten Inhalte erzeugen, zu entdecken: Ja es gibt Tokens und Tokens werden mit Metainformationen versehen und können dann neu zusammengeführt werden durch eine generative KI und dann kommen sinnhafte oder für uns sinnvolle Texte dabei heraus. Das hat mich begeistert aus dieser Informatiklehrer-Perspektive. Ich glaube, die Geografielehrer-Perspektive bringt immer noch auch das Thema Nachhaltigkeit und ethische Fragen mit rein. Je länger ich mich damit befasse, umso mehr merke ich, dass uns doch Grundlagen fehlen, also Rahmenbedingungen, die langfristig ein nachhaltiges Wirken und Nutzen von dieser Technologie ermöglichen. Der AI-Act ist sicherlich jetzt ein wichtiger Baustein gewesen und auch die Datenschutzgrundverordnung. Aber für das Lernen konkret und für die neuen Inhalte, die generiert werden, braucht es, glaube ich, auch an den Hochschulen, Schulen und in den Bildungsinstitutionen Strukturen, die dieses neu generierte Wissen auch einordnen können. Aus der Perspektive des wissenschaftlichen Mitarbeiters, mit dem Auftrag eine Lehrerfortbildung zu entwickeln, habe ich für mich den Anlass gesehen, erst mal selbst Lehrerfortbildungen zu besuchen, bevor ich überhaupt mit der Themenentscheidung so weit war und habe gesehen, dass vor einem Jahr die Stimmung bezüglich weiterer Digitalisierung sehr aufgeladen war und das Thema KI als bedrohlich empfunden wurde. Erstens ist diese Technologie auch nach wie vor eine Black Box und es ist eine große Herausforderung nachvollziehbare, verstehbare, erklärbare KI-Prozesse abzubilden, um Vertrauen entwickeln zu können in die Inhalte. Das ist, glaube ich, wesentlich und da haben die Lehrer auch ein feines Gespür, dass das zurzeit nicht gegeben ist. Auch mit den Schülern erleben sie Digitalisierung von einer negativen Seite, mit Suchtverhalten, mit starken Ablenkungen, mit nicht-kontrollierten Räumen. Anne-Christin Roth von den Sportwissenschaften hier in Freiburg hat geschrieben, über diese Einstellung der Lehrer gegenüber Digitalisierung. Das Spannende war, dort kommen häufig Metaphern wie: „Wir werden von der Lawine überrollt.“ Oder: „Da sind die Kinder in dem Raum ja gefangen.” Also, Bilder, bei denen man sich ausgeliefert fühlt, den Prozessen und den Strukturen, die mit Digitalisierung einhergehen. Das ist keine gute Grundlage, um damit kreativ oder spielerisch zu arbeiten oder Entdeckerfreude zu haben.
Tamara Schilling: Ich würde gerne noch konkreter werden, und zwar was das denn bedeutet, ChatGPT in diese kooperativen Lernprozesse einzubringen. Vielleicht können Sie uns einfach mal anhand von ein, zwei konkreten Beispielen erzählen, was für Besonderheiten aufgetreten sind und wie Sie, vielleicht aber auch Lehrkräfte oder die Schülerinnen und Schüler damit umgegangen sind?
Philipp Wetzel: Zunächst einmal, die erste Erfahrung, die ich sammeln durfte, war, dass ich vor der Klasse stand und das iPad in der Hand hatte, die App ChatGPT öffnete und sagte: „Hallo ChatGPT, kannst du dich melden und die Gruppe begrüßen.“ Die Antwort kam: „Ich habe zurzeit technische Probleme.“ Und das war natürlich vor der Lerngruppe herausfordernd damit umzugehen. Weil die technischen Probleme immer wieder auftauchen, sei es die WLAN-Verbindung, die Serverkapazität oder auf dem iPad, also, das ist doch nach wie vor, trotz des erleichterten Interfaces herausfordernd. Dann, wenn es dann klappt, sieht man erst mal wirklich Kichern, Erstaunen, eine Verunsicherung macht sich breit, weil da eine Stimme spricht, die so menschlich klingt und die so wortgewandt ist, dass man erst mal verblüfft ist, wie man damit denn jetzt umgehen soll. Ich habe auch von Schülern gehört, die dann gesagt haben: „Wow, die/der kann aber toll sprechen.“ Gerade in heterogenen Gruppen auch eine Ressource, eine Quelle zu haben, die da angepasst auf die Spracheingaben antworten kann, ist beeindruckend erstmal. Das lässt dann irgendwann auch nach und dann beginnt so eine Phase der Erprobung, in der man auch probiert damit zu scherzen oder erste Aufforderungen – zum Beispiel haben Schüler gesagt: „Bitte beginne jeden Satz mit ‚hey Baby‘“ und dann sagt ChatGPT: „Hey Baby, wie kann ich dir helfen?“ Also da wird viel ausprobiert.
Tamara Schilling: Hatten Sie den Eindruck, dass es auch Akzeptanzprobleme gibt? ChatGPT kommt quasi als neues Mitglied in die Gruppe. Wie wird damit umgegangen?
Philipp Wetzel: Wir haben jetzt eher auf die Schülerseite geschaut. Die Lehrkräfte selbst haben nicht unterrichtet, sondern wir haben den Unterricht selbst auch durchgeführt. Aber wir haben allgemein die Rückmeldung von den Lehrkräften bekommen, dass die Schüler das wollen. Da ist also ein Interesse da. Es entspricht, glaube ich auch ihren Alltagserlebnissen und es hat funktioniert. Das war ja auch die große Frage: Schaffen wir das überhaupt über eine Unterrichtseinheit von drei Stunden Unterrichtsinhalte zu vermitteln, die hinterher ein Ergebnis, in dem Fall eine Choreografie, hervorbringen? Das hat geklappt, allerdings nicht in allen Gruppen. Wir haben Gruppen gehabt, wo wir das in der zweiten Stunde beiseitegelegt haben, weil das iPad oder ChatGPT nicht mehr genutzt worden sind. Die sind bei den Videos hängen geblieben. Das war bekannt. Das war einfach. Gerade Bewegungsabläufe, die nur in Textform beschrieben werden, sich zu erarbeiten, ist viel herausfordernder und schwieriger. Auch das Prompten, also dieses Einsprechen von einer Frage, ist in dem Gruppensetting für viele Schülerinnen und Schüler mit weniger Selbstbewusstsein herausfordernd. Also, da sich zu öffnen und den Mut zu haben, das Wort zu erfassen ist nicht einfach. Klar kann man das dann lösen, wenn man ein 1:1-Setting ermöglicht, indem man sagt, ein Teil der Gruppe übt, ein anderer befragt die KI. Dann ist das möglich. Aber trotzdem gibt es da diesen Digital Divide. Es zeigt auch hier: Je stärker ich meine Kompetenzen im Umgang mit Medien oder auch im Artikulieren schon entwickelt habe, umso mehr kriege ich da raus. Wenn ich das nicht kann, brauche ich Unterstützung. Die ist dann auch wichtig von den Lehrkräften oder von den Gruppenmitgliedern zu bekommen.
Tamara Schilling: Wie war denn die Interaktion der Lernenden, wenn sie mit ChatGPT umgegangen sind?
Philipp Wetzel: Der Rahmen, den wir gesetzt haben, war, dass wir gesagt haben, einerseits gibt es Informationsaufträge, Informationen einzuholen. Dann gab es den Versuch, Übungsabläufe mit ChatGPT zu gestalten und Reflexionsphasen. Bei dem Informieren erst mal ein Arbeitsauftrag wie: Was ist das Stundenziel heute? Findet das heraus. Diese Dialoge waren häufig gut möglich. Also, man fragt: „Was wollen wir heute machen?“ Dann sagt ChatGPT: „Wir wollen einen Tanz lernen, der heißt Jumpstyle. Möchtest du einen Achterbogen kennenlernen?“ Da ist die Gesprächsführung innerhalb von diesem Jahr, in dem ich ChatGPT jetzt auch einsetze, immer besser geworden. ChatGPT lernt da schnell und viel dazu und hat wirklich Strategien entwickelt auch so einen Dialog aufrechtzuerhalten. Zu den direkten Interaktionsmöglichkeiten, die da gefunden worden sind, von den Schülern, ist mir noch eingefallen, manche haben sehr rational und kurz angebunden einfach gesagt „was ist das Thema?“, oder „Thema nennen!“ – und haben eigentlich so eine Art Computerbefehlscode-Struktur verwendet und sind effektiv schnell zu Antworten gekommen. Andere fangen dann an, sich in langen, normalen Wortketten zu äußern, die häufig zu technischen Problemen führen, weil zum Beispiel ChatGPT abbricht, wenn man eine Pause macht. Dann muss man auch lernen, dass man durch Druck auf den Bildschirm das weitere Zuhören von ChatGPT erzwingen kann. Aber das sind so Verhaltens- und Interaktionsformen, die man dann erst lernen muss. Wann tippe ich wo? Viel wurde auch am Lautstärkeregler zum Beispiel in der Turnhalle gemacht. Man wollte auf der einen Seite ChatGPT gut verstehen, aber gleichzeitig möchte man die Nachbargruppe nicht stören oder man möchte nicht, dass der Lehrer mitbekommt, was ChatGPT gerade antwortet. Also es gibt so eine Art Öffentlichkeit, die durch die laute Antwort von ChatGPT entsteht, aber auch das Bedürfnis nach Schutz oder Privatsphäre. Ich habe ja nur über das Informieren bisher gesprochen und wir hatten ja noch Übungs- und Reflexionsprozesse im Unterricht. Das Üben beim Tanzen ist ja so, dass, wenn man jetzt eine Schrittfolge auswendig lernt, man sie mitspricht. Das ist die Besonderheit, dass man beim Tanzen Bewegung mitspricht und die ja rhythmisch anpassen muss. Wenn ich jetzt einfach nur den normalen Text spreche, dann komme ich aus dem Takt und kann die Bewegung nicht mitgestalten. Und es war die Idee, dass ChatGPT, das jetzt sprechen kann, ja eigentlich auch diese Bewegungsanweisung so vorspricht, dass man sich gleich mitbewegen kann. Und teilweise ist das gelungen. Wir hatten dann wirklich lustige Bilder, dass während ChatGPT noch die Bewegungsabfolge erklärt, die Gruppe schon mitarbeitete. In manchen Gruppen führte das automatisch zu einem synchronen Verhalten. Häufig war aber die Sprechgeschwindigkeit oder die Phrasierung dann nicht passend zu dem Rhythmus. Dann war eine Herausforderung: Wie gestalte ich denn jetzt diese Bewegungsanweisung? Dann gab es Dialoge, herauszufiltern aus einer komplexen Bewegungsbeschreibung, wie man die auf wenige Stichpunkte wie Tap, Sprung, Sidestep runterbrechen kann und das dann aber auch in eine Reihenfolge bringt, die man sich merkt und die man dann auch mit ChatGPT üben kann. Zum Beispiel ist auch interessant, dass wenn die Schülerinnen und Schüler dann geübt haben und mit ChatGPT im Dialog waren, sie dann mit den Fingern nebenher die Fußbewegungen ausprobierten – einerseits auch um dieses „ich will noch nicht gesehen werden, wenn ich unsichere Schritte mache“ und „übe das erst mal im Kleinen für mich“, andererseits auch, weil es gut ging, parallel zuzuhören und sich dazu zu bewegen. Das liefert auch Freiräume, die man, wenn man jetzt eine Lehrperson hat, so nicht hat. Weil, wenn mir die Lehrperson etwas erklärt und ich mich dazu gleich bewege – natürlich passiert immer wieder, aber es ist eher gehemmter. Dort entsteht, glaube ich schon mit der KI in der Kleingruppe eine andere Lernatmosphäre als mit der Lehrperson.
Ja, ein anderes war das Reflektieren. Da hatten wir die Überlegung: Wie kann man Reflexionsprozesse mit der gegebenen Technik bereichern? Da haben wir lange gebraucht, um zum Beispiel auf die Idee zu kommen, ChatGPT erst ein kurzes Interview führen zu lassen. Das fragt drei bis vier Fragen zum Verlauf des Unterrichts, dazu was die Schülerinnen und Schüler erlebt haben und hinterher zeichnet es ein metaphernartiges Bild von den geschilderten Unterrichtsszenen. Auf jeden Fall bekommt man mit dieser Möglichkeit, Bilder erstellen zu lassen, die Möglichkeit auch das Erlebte oder Geschilderte noch mal anders aufzubereiten. Diese Bilder konnte man sich dann zeigen und die haben viele Gesprächsanlässe geboten und das Reflektieren angeregt – allerdings da auch langwierig. Eigentlich sind Reflexionsprozesse im Sportunterricht immer diese Bewegungszeit versus Denkzeit und eigentlich geht es ja um Lernzeit. Insofern ist dieses Argument immer mit dieser Bewegungszeit im Sportunterricht nur bedingt gültig, weil es uns ja um Lernzeit geht und die war auf jeden Fall gegeben. Aber natürlich ist die berechtigte Frage: Wenn man schon in der Sporthalle ist, dann sollte man dort auch den Räumlichkeiten gerecht werden und die Bewegung ermöglichen? Das ist auch noch ein, bei dem es ums Fachverständnis geht. Was ist denn Sportunterricht in Zeiten von Digitalisierung? Wie sieht da ein zeitgemäßer Sportunterricht aus. Spannend ist auch zu sehen, was mit der Autorität passiert, die einem verliehen wird durch das Wissen, was jetzt bereitgestellt wird. Wir sehen, dass in den Gruppen häufig auch die lauteren Personen oder die, die sich eine Führungsrolle wünschen oder nehmen, auch das iPad einfach nehmen und damit quasi kontrollieren, was denn eingesprochen wird oder nicht und auch den Gruppenprozess jetzt stark steuern. Dann gibt es Aushandlungsprozesse, bei denen das iPad weggenommen wird oder bei denen zwei Personen gleichzeitig Eingaben machen. Dann gibt es Konflikte, dass das abgewehrt wird oder auch besonders harmonische Zusammenarbeitsformen, dass man gleichzeitig das iPad bedient. Da zeigt sich allein mit dem Umgang des Gerätes schon viel kooperatives Verhalten. Ich glaube auch da wieder, positive Gruppenstrukturen werden verstärkt, aber wenn kein gutes Gruppengefühl da ist oder wenn einige sehr dominant auftreten oder eher weniger dominant sind, kann das verstärken.
Tamara Schilling: Der Einsatz von KI im Unterricht wird ja oft auch mit dem Versprechen verbunden, dass Lehrkräfte mehr Zeit für solche Situationen haben. Also für derartige Aushandlungsprozesse, wie Sie es nennen. Gleichzeitig bringt ChatGPT aber auch neue Herausforderungen mit sich: Technische Betreuung, haben Sie genannt, aber auch die Gestaltung der Lernprozesse selbst. Wie beeinflusst das alles die Rolle, aber auch die Aufgaben der Lehrkraft im kooperativen Lernen mit ChatGPT?
Philipp Wetzel: Es gibt ja dieses Versprechen eines: „Wir haben dann mehr Zeit für das Wesentliche.“ Aber ich glaube, das ist aktuell nicht so. Wir haben weniger Zeit, weil wir mit vielen technischen Fragen und Herausforderungen konfrontiert sind, die wir managen müssen. Also neben der Lehrperson und den vielen Rollen, die sie hat, hat sie jetzt auch noch die Technikbetreuungsrolle und weniger Zeit. Aber bei kooperativem Lernen ist es ja auch schon so, idealerweise schafft es die Lehrperson, Lernprozesse so anzustoßen, dass sie ohne die Lehrperson im Vordergrund, sondern eben mit der Lehrperson eher im Hintergrund stattfinden können – als eine Person, die das Ganze kuratiert oder gestaltet, den Raum gestaltet, die Voraussetzungen gestalte und im Blick hat, welche Einflüsse sozusagen über die Medien oder jetzt zum Beispiel über das vorkonfigurierte ChatGPT gegeben werden. Also, da kommt eine neue Aufgabe hinzu für die Lehrkräfte, sich Gedanken zu machen: Wie soll denn meine KI umgehen mit den Lernenden und welcher Ton und welcher Stil an Sprache soll verwendet werden? Oder welche inhaltlichen Hilfestellungen oder Anregungen sollen gegeben werden? Sollen komplexe oder einfache Antworten gegeben werden? Das kann man ja alles mit bedenken – es wird dann doch sehr umfangreich. Was ich persönlich für mich festgestellt habe: Weniger ist mehr. Das ist auch ein Learning gewesen: Je stärker man versucht, Details zu konfigurieren in den Abläufen, umso fehleranfälliger wird das Ganze. Ein offenes Setting erleichtert das Gelingen der Lernprozesse eher, als wenn man wirklich genau im Detail festschreiben will, was da passiert. Und da sehe ich auch im größeren Bild einen Zusammenhang. Es gibt die Idee, adaptive, personalisierte, individualisierte Lernpfade mit KI zu gestalten. Und ich habe das Gefühl, das mag bei manchen Inhalten gut sein, aber im Sportunterricht so ein Setting, das lebt doch von der Gruppe oder von dem Miteinander. Es ist auch für die Motivation häufig, glaube ich, nicht so einfach mit einer Maschine, die jetzt genau mich versteht, langfristig zu lernen, wie in einer Gruppe, in der ich dann doch bedeutsame Beziehungen habe und daraus auch Motivation schöpfe, mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Ja, für die Erprobung und die Entwicklung von Didaktik und passenden Inhalten zum Erlernen mit ChatGPT bedarf es unbedingt Freiräume das zu tun. Ich merke, wenn ich an die Schulen komme oder auch an die Landesinstitute, dann ist das Thema stark unter Druck. Ich glaube dieser Druck, Ergebnisse zu liefern beziehungsweise das jetzt noch on top zu machen, verhindert gute Lösungen zu finden. Was ich für mich merke: Es braucht Raum, das zu entwickeln und vor allen Dingen keine falschen Illusionen.
Tamara Schilling: Ich würde abschließend vielleicht einen kleinen Blick in die Zukunft noch werfen wollen mit der Frage, ob Sie irgendwelche Wünsche oder Anregungen haben für Ihre eigene Forschung oder auch den Transfer solcher innovativen Arbeiten in die Schulpraxis?
Philipp Wetzel: Ja, erst mal ein großes Dankeschön an lernen:digital und das Projekt KuMuS-ProNeD, dass sie mitgedacht haben Lehrkräfte, Menschen aus der Praxis, als Brückenbauer mit reinzunehmen. Genau diese Verknüpfung zwischen den Hochschulen, den Schulen und auch den Weiterbildungszentren – diese Vernetzung zu fördern, ist wichtig, um das evidenzbasierte Lernen in die Schulen zu tragen. Ich glaube, wenig hilfreich ist es, diese Visionen zu haben von: „Alles wird leichter, besser und schöner.” Ich glaube, diese Utopien und Dystopien helfen uns nicht weiter, sondern es bedarf dann doch den Mut, andere Dinge wegzulassen und einen klaren Blick auf das, was hilft. Die Angemessenheit des Technikeinsatzes finde ich auch noch wesentlich, also zu gucken, an welchen Stellen haben wir die Ressourcen, das mit einer guten Qualität umzusetzen und wo der Einsatz eher negative Effekte hat, wenn man ihn nur schnell und nicht mit genügend Ressourcen ausstattet oder nicht mit genügend Überlegungen einsetzt. Da kann ich mir Sport als Schutzraum vor Digitalisierung genauso gut vorstellen wie ausgewählte digitalisierte Räume in jeglichem Sinne zum Lernen, auch Bewegungslernen mit KI. Sie hatten ja gefragt nach den Wünschen oder was mich noch antreibt. Das, was wir jetzt glaube ich liefern können, ist ein Rahmen, in dem wir sagen: Hier lassen sich Interaktionsprozesse mit KI in Gruppensettings beobachten – und dass das aufgegriffen und genutzt wird, um weitere didaktische Konzepte zu entwickeln und einen fachgerechten Umgang damit zu finden. Weil aktuell die Fortbildungsinhalte, die ich entwickelt habe, vermutlich für den Lehrer in der Praxis jetzt – in der Sporthalle ohne Internet, ohne iPad oder ohne die Zeit eigene GPTs zu konfigurieren, ohne die Möglichkeit, sich da intensiv einzuarbeiten – noch nicht gegeben sind. Aber ich glaube, wir brauchen Räume und Strukturen vorzudenken, wie sieht denn die KI in ein, zwei, drei Jahren aus. Da jetzt Strukturen aufzubauen mit Lehrkräften vor Ort, in den Schulen und auch in den Fortbildungszentren und an den Hochschulen. Nicht dieses „Schwedenerlebnis” zu haben: Wir digitalisieren alles, die iPads in die Klassen geben und die Bücher zu Hause lassen, um das dann wieder zurückdrehen zu müssen und zu sagen, „nein, Bücher haben auch eine Berechtigung und die negativen Aspekte, die haben wir unterschätzt“. Um zu vermeiden, dass sich das wiederholt mit KI, sollten wir vorausschauend Erprobungsräume öffnen, um dann mit ausgereiften didaktischen Konzepten in die Fläche zu gehen. Ja, auch konkret, ich erlebe es ja jetzt, Fortbildungen können nicht angenommen werden, weil keine Ressourcen da sind von den Lehrkräften. Wir haben viele Fortbildungen mit geringen Teilnehmerzahlen, obwohl das Interesse schon vorhanden ist. Ein weiterer Aspekt, den ich erlebt habe – für mich begeisternd war, dass als ich zum Beispiel im Plenum ChatGPT als Lehrkraft benutzt habe, ChatGPT geschildert habe, „wir haben im Unterricht schon fünf der zehn Schritte uns erarbeitet und wollen aber nächste Woche schon in die Choreografie einsteigen, wie machen wir denn jetzt weiter?“ ChatGPT antwortet dann: „Dann könnt ihr ja die Methode des Gruppenpuzzles weiterverwenden.” Dann habe ich mich als Lehrkraft erinnert, dass das in den Materialien mit dabei war und dass das passen könnte an dieser Stelle. Dieses gemeinsame Erlebnis zu haben, auch als Lehrkraft weitere Inspiration für meinen Unterricht durch den Chatbot zu bekommen, das war schön.
Tamara Schilling: Vielen Dank.
Dieses Transkript gehört zum Interview Gemeinsam lernen, gemeinsam tanzen – kooperatives Lernen im Sportunterricht mit KI.
